Für die Liebe ans andere Ende der Welt – Zwischen Deutschland & Australien

Abboud Zeitoune

Anahid Michaelian

Sydney, Austra­lien
32 Jahre

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Anahid Michaelian hat für die Liebe ihres Lebens, Johan­nes, eine mutige Entschei­dung getrof­fen: Sie wanderte nach Austra­lien aus. Die beiden lern­ten sich vor acht Jahren bei einem Frei­wil­li­gen­pro­gramm in Arme­nien, im Land ihrer Vorfah­ren, kennen, und ihre Bezie­hung entwickelte sich trotz der großen Entfer­nung zwischen Deutsch­land und Austra­lien. Nach drei Jahren heira­te­ten sie in Arme­nien und zogen anschlie­ßend nach Austra­lien, wo Anahid nun seit fünf Jahren lebt. Die Auswan­de­rung war gut durch­dacht und erfor­derte viel Planung, insbe­son­dere hinsicht­lich ihrer Hoch­zeit und des Visum­pro­zes­ses. Anahid musste viele Heraus­for­de­run­gen über­win­den, wie die büro­kra­ti­schen Hürden der Einwan­de­rung und den Aufbau einer neuen beruf­li­chen Zukunft in Austra­lien. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töch­tern glück­lich in Austra­lien und arbei­tet daran, als Sprach­leh­re­rin tätig zu werden. Ihre Geschichte zeigt, wie Liebe und Entschlos­sen­heit über Gren­zen hinweg trium­phie­ren können und inspi­riert andere, große Entschei­dun­gen bewusst und mit klarem Ziel vor Augen zu tref­fen.

3 Impulse, die du aus Der Lebensstory für dich mitnehmen kannst

Liebe als Antrieb für mutige Entschei­dun­gen
„Ich habe in die Zukunft geblickt und wusste, dass ich eine Liebe wie diese niemals wieder finden werde und mich niemals mit weni­ger zufrie­den geben kann.“
➡️ Frage: Welche mutige Entschei­dung hast du für die Liebe oder einen Herzens­wunsch getrof­fen?

Struk­tu­rierte Planung für große Lebens­schritte
„Bei der ganzen Planung war unsere Haupt­re­gel, nichts dem Zufall zu über­las­sen. Alles plan­ten wir bis ins klein­ste Detail.“
➡️ Lesson: Große Verän­de­run­gen verlan­gen nach präzi­ser Planung. Wie sorgst du dafür, dass du deinen näch­sten großen Schritt stra­te­gisch angehst?

Gemein­sam die Zukunft gestal­ten
„Obwohl ich mir von vorn­her­ein so sicher war, dass ich mir mein Leben nur noch mit Johan­nes an der Seite vorstel­len konnte, kamen doch immer wieder Zwei­fel auf.“
➡️ Inspi­ra­tion: Wie meisterst du Unsi­cher­hei­ten bei Entschei­dun­gen, die lang­fri­stige Auswir­kun­gen auf dein Leben haben?

Wer bist Du & welche Lebensstory möchtest Du uns heute erzählen?

Mein Name ist Anahid Michaelian. Ich bin 32 Jahre alt und habe Spra­chen und Kultu­ren studiert. Heute möchte ich euch von meiner lebens­ver­än­dern­den Entschei­dung erzäh­len, für die Liebe meines Lebens nach Austra­lien auszu­wan­dern. 

Mein Ehemann Johan­nes und ich haben uns im Rahmen eines Frei­wil­li­gen­pro­gramms vor 8 Jahren in Arme­nien kennen­ge­lernt. Nach unse­rer ersten Begeg­nung wusste ich bereits, dass uns ein star­ker Bund zusam­men­hält. Wir sind beide dem Ruf in die Ferne gefolgt, um unsere Gren­zen zu testen und uns selbst zu finden. Was wir jedoch beide nicht wuss­ten, war, dass unsere Iden­ti­täts­fin­dung zu einer gemein­sa­men Erfah­rung werden würde. 

Das klingt viel­leicht alles nach einer naiven, gar leicht­sin­ni­gen Fanta­sie. Unsere Über­zeu­gung aber, dass wir fürein­an­der bestimmt sind, hat uns 3 Jahre später vor den Trau­al­tar nach Arme­nien geführt. Kurze Zeit später ging es dann nach Austra­lien, wo ich mir nun seit fast 5 Jahren eine neue Existenz aufbaue. Nichts an der syste­ma­ti­schen Planung meiner Hoch­zeit und der Emigra­tion war naiv. Im Gegen­teil, alles musste sehr gut durch­dacht und struk­tu­riert geplant werden. Darüber handelt meine Lebens­story.

Anahid und Johannes lernen sich 2016 während eines Freiwilligenprogramms in der Heimat ihrer Eltern in Armenien kennen - 3 Jahre später heiraten sie in dem Land, in dem sie sich kennenlernten.

Anahid und Johannes lernen sich 2016 während eines Freiwilligenprogramms in der Heimat ihrer Eltern in Armenien kennen – 3 Jahre später heiraten sie in dem Land, in dem sie sich kennenlernten.

Wie kam es dazu & was ging Dir durch den Kopf?

Ich wurde in Celle in Nieder­sach­sen gebo­ren. In dieser klei­nen Stadt, die bekannt ist für ihre Fach­werk­häu­ser, bin ich mit meinen Schwe­stern und Eltern aufge­wach­sen. Als ich 8 Jahre alt war, entschloss sich mein Vater, nach Marseille in Frank­reich auszu­wan­dern, da es dort eine große arme­ni­sche Gemeinde gibt und es ihn in den Süden zog. Die Ehe meiner Eltern zerbrach leider ein Jahr später, und meine Schwe­stern und ich zogen mit meiner Mutter zu ihrer Fami­lie nach Wies­ba­den. Dort lebte ich, bis ich nach dem Abitur fürs Studium nach Köln zog. Seit meiner Rück­kehr aus Frank­reich fühlte ich mich in Deutsch­land fremd und sehnte mich danach, mich in meiner kultu­rel­len Iden­ti­tät zu festi­gen. 

Nach meinem Bache­lor­ab­schluss 2016 in Euro­päi­scher Rechts­lin­gu­istik an der Univer­si­tät zu Köln nahm ich mir vor, meinen sehn­lich­sten Wunsch endlich zu erfül­len: Eine Aben­teu­er­reise in das Land meiner Vorfah­ren – Arme­nien. Aber nicht einfach ein gewöhn­li­cher, befri­ste­ter Kurz­ur­laub als Touri­stin: Ich wollte eine authen­ti­sche Erfah­rung und Arme­nisch lernen, da ich mir schon immer vorge­nom­men hatte, die in meiner Fami­lie durch Unter­drückung verlo­rene Spra­che wieder zurück­zu­er­lan­gen. Trotz aller Spra­chen, die ich bis zu diesem Zeit­punkt bereits gelernt hatte, wusste ich, dass mir die Erler­nung der wich­tig­sten noch bevor­stand. Also beschloss ich, direkt nach dem Bache­lor für 6 Monate in Arme­nien zu leben, nach­dem ich zwei Jahre zuvor vom Birth­right Arme­nia-Programm gehört hatte.

Anahid erlernt auf ihrer Reise in Armenien die Muttersprache ihrer Vorfahren - Armenisch

Anahid erlernt auf ihrer Reise in Armenien die Muttersprache ihrer Vorfahren – Armenisch

Es war ein sehr großer Schritt für mich, da ich bis zu diesem Zeit­punkt nie etwas alleine getan hatte: Ich bin ein Zwil­ling. Was aus dieser Entschei­dung folgte, waren 6 Monate „jour­ney of self-disco­very“ (Selbst­ent­deckungs­reise, das Motto des Programms Birth­right Arme­nia).

Anahid mit ihrer Zwillingsschwester Ani

Anahid mit ihrer Zwillingsschwester Ani

Es war also die Entschei­dung, meinem Ruf in die Heimat zu folgen, die mir meine sehn­lich­sten Wünsche erfüllt hat: die Spra­che meiner Vorfah­ren zu lernen, als Teil der Selbst­fin­dung.

Anahid während eines Freiwilligendienstes in Tigranakert/Arzach (Nagorno-Karabach), Oktober 2016

Anahid während eines Freiwilligendienstes in Tigranakert/Arzach (Nagorno-Karabach), Oktober 2016

Wie bist Du zu Beginn vorgegangen?

Nach­dem ich vom Birth­right-Arme­nia-Programm ange­nom­men worden war, war mein Ziel grund­sätz­lich, nach erfolg­rei­chem Sprach­er­werb nach Deutsch­land zurück­zu­keh­ren und meinen Master even­tu­ell in Frank­reich bei meinem Vater in Marseille zu absol­vie­ren. Bis zu diesem Zeit­punkt hatte ich mich stets durch das Leben gehetzt. Ich wollte immer nur so schnell wie möglich mit dem Studium fertig werden, dann arbei­ten, dann heira­ten, dann Kinder haben und und und… Doch mein Studium war nicht das, was ich mir erhofft hatte: Die Jura­kurse empfand ich als Stra­paze, die sprach­wis­sen­schaft­li­chen Veran­stal­tun­gen folg­ten der Devise, Spra­chen seien ein leblo­ses Fach, und der sprach­prak­ti­sche Anteil war vom Niveau her weit unter dem meines Abitur-Leistungs­kur­ses. Nach meinem also eher ernüch­tern­den Bache­lor­stu­dium nahm ich mir entschlos­sen vor, meinem Herzen zu folgen und darauf zu vertrauen, dass Gott die Planung in die Hände nimmt.

Syunik-Region im Süden Armeniens: Anahid spürt, dass sie was mit diesem Land verbindet.

Syunik-Region im Süden Armeniens: Anahid spürt, dass sie was mit diesem Land verbindet.

Arme­nien war schließ­lich, was ich mir erhofft hatte: eine immersive Erfah­rung. Ich fühlte mich so geer­det wie noch nie und war in Gesell­schaft vieler ande­rer junger Leute, die aus ähnli­chen Grün­den Frei­wil­li­gen­dienst in der Heimat der Vorfah­ren leisten woll­ten. Der Frei­wil­li­gen­dienst bestand haupt­säch­lich aus Job-Place­ments, die an unsere Profes­sion ange­passt waren, und an den Wochen­en­den hatten wir entwe­der Exkur­sio­nen oder Commu­nity Service (Feld­ar­beit, Bäume pflan­zen etc.). Eines führte schließ­lich zum ande­ren, und ich traf bereits in der ersten Woche Johan­nes, der eben­falls nichts sehn­li­cher wollte, als sich und sein kultu­rel­les Erbe besser kennen­zu­ler­nen.

Johan­nes war bereits seit 7 Mona­ten in Arme­nien, als ich ankam. Er verbrachte seine letz­ten Wochen dort. Etwas, das ich mir zu jenem Zeit­punkt niemals hätte vorstel­len können, war, für jeman­den ans andere Ende der Welt zu ziehen. Als ich ihn jedoch traf, wusste ich, dass er etwas Beson­de­res war. Wir hatten beide an einem 4‑Tage-Ausflug nach Nagorno-Kara­bach/Arz­ach teil­ge­nom­men. Ich bemerkte ihn im histo­ri­schen Kloster von Tatev in den südli­chen Bergen Arme­ni­ens in einem sehr verwund­ba­ren Moment: Er war am Beten. Als wir das Kloster verlie­ßen, musterte ich ihn nach­denk­lich, da ich mir nicht ausma­len konnte, woher er kam. Während des Abend­essens in den Räum­lich­kei­ten des Klosters Gandza­sar im von Krieg zerrüt­te­ten Arzach sprach er mich dann selbst neugie­rig an. Ich war ihm aufge­fal­len, weil ich ein neues Gesicht war. Was ich von Anhieb an ihm mochte, war die Wärme, die er mit Blick und Wort ausstrahlte. Ich war selbst verblüfft, wie sehr seine Präsenz mich einnahm, da ich keine Person bin, die sich schnell in jeman­den verguckt. Er schien aber so anders. Nach unse­rer ersten Unter­hal­tung kurz darauf kamen unsere Wohn­sitze zur Spra­che, und ich schlug ihn mir aufgrund der Entfer­nung sofort aus dem Kopf. Während unse­res Ausflugs kreuz­ten sich jedoch unsere Wege mehr­mals, und wir stell­ten sogar fest, dass wir eine gemein­same Freun­din in Deutsch­land hatten, die uns tatsäch­lich bereits vonein­an­der erzählt hatte. Nach dem Ausflug trenn­ten sich unsere Wege, da ich in Jere­wan plat­ziert war und er in Gyumri.

Johannes beim Beten im historischen Kloster in Tatev, Armenien.

Johannes beim Beten im historischen Kloster in Tatev, Armenien.

Zwei Monate später, in seiner letz­ten Woche in Arme­nien, verbrach­ten wir gemein­sam ein paar Tage im Birth­right-Büro, um von dort aus zu arbei­ten, statt wie gewöhn­lich an unse­ren Arbeits­plät­zen. Ich, weil mein Chef zu der Zeit verhin­dert war, und er, weil er im Endsta­dium war und sich um seine Abmel­dung kümmern musste. So kam es, dass er, während ich im Home­of­fice arbei­tete, regel­mä­ßig Gesprä­che einlei­tete über seine Erfah­run­gen, das Leben, Gott und die Welt. Wir gaben uns gegen­sei­tig Ratschläge und spra­chen sehr offen mitein­an­der. Wieder spürte ich, wie viel wir gemein­sam hatten und uns trotz Verschie­den­hei­ten doch so ähnlich waren. Seine Offen­heit über Bezie­hungs- und Zukunfts­vor­stel­lun­gen war erfri­schend, und es machte es mir so leicht, meine Schüch­tern­heit zu über­win­den. Dann war er aber schon weg, und was blieb, waren aufer­weckte Gefühle, die vergeb­lich schie­nen. 

Später, Monate nach­dem er bereits zurück in Austra­lien war und ich mich einer Freun­din vor Ort bezüg­lich meiner Gefühle ihm gegen­über anver­traut hatte, gab sie mir den Ansporn, meinem Herzen zu folgen und ihm zu schrei­ben. Bevor ich dies tat, hatte ich mir bereits wochen­lang meine Zukunft im Kopf ausge­malt. Wo wollte ich hin in meinem Leben? Was war mir wich­tig? Was war meiner Fami­lie wich­tig? Ich muss mir heute noch oft von Leuten anhö­ren, dass ich meine Eltern verlas­sen habe. Es stimmt, aber ich hätte es nie ohne ihren Segen getan. Von vorn­her­ein hatte ich meine Eltern über meine Beden­ken wegen der Entfer­nung einge­weiht. Beide aber kann­ten mich zu gut, um zu wissen, dass ich eine reflek­tierte Person bin, die ihre Entschei­dun­gen nicht bereut. Sie woll­ten, dass ich glück­lich bin, und haben mich ermu­tigt. Ihre Unter­stüt­zung hat mir letzt­end­lich den Ansporn gege­ben, meine Love­story zu verwirk­li­chen.

Wie ging es dann weiter?

Schließ­lich machte ich den näch­sten Schritt und schrieb ihm. Ich bedankte mich bei ihm, dass er mich ange­spornt hatte, während meiner Zeit in Arme­nien ins kalte Wasser zu sprin­gen und wie er die Haupt­stadt zu verlas­sen, um mein Arme­nisch zu vertie­fen. Er war sehr berührt von der Kontakt­auf­nahme. Sie geschah zu einem Zeit­punkt, in dem er nichts sehn­li­cher brauchte als eine Seelen­ver­wandte. Wir fingen an, uns täglich zu schrei­ben. Wir führ­ten Video­calls, um uns gegen­sei­tig in unse­ren Alltag zu inte­grie­ren, und spra­chen über jeden Bereich unse­res Lebens. Necke­reien entwickel­ten sich zu Gefühls­aus­drücken, und schon bald spra­chen wir über eine Bezie­hung. So begann unsere Bezie­hung tatsäch­lich als Fern­be­zie­hung. 

Mit der Entfer­nung kam auch die Zeit­ver­schie­bung, die uns vieles abver­langte. Wir haben in unse­rer vollen Alltagsagenda Prio­ri­tä­ten gesetzt: Egal, was kommt, wir nehmen uns täglich die Zeit, wenig­stens 10–20 Minu­ten mitein­an­der zu tele­fo­nie­ren. Wenn man will, findet man immer Zeit, sei es während des Pendelns zur Arbeit, beim Früh­stück oder kurz vorm Schla­fen­ge­hen. Wir kann­ten keine Ausre­den. Durch diesen stän­di­gen Kontakt fühl­ten wir uns näher und als wären wir Teil im Leben des ande­ren. Dabei riefen wir uns auch spon­tan an, so als würden uns keine Konti­nente tren­nen. Schließ­lich über­raschte er mich und kam ein paar Wochen nach meiner Rück­kehr aus Arme­nien den ganzen Weg nach Deutsch­land! Das war drei Monate, nach­dem wir ange­fan­gen hatten zu schrei­ben. Er kam, um sich meinen Eltern und Schwe­stern vorzu­stel­len.

Johannes und Anahid bei einem ihrer täglichen Routine-Calls.

Johannes und Anahid bei einem ihrer täglichen Routine-Calls.

So plan­ten wir als Näch­stes meine Reise nach Austra­lien, um seine Welt kennen­zu­ler­nen. Während dieses ersten Besuchs in Austra­lien kam es schließ­lich zum Heirats­an­trag, wobei wir bereits von vorn­her­ein über unsere Zukunfts­vor­stel­lun­gen gespro­chen hatten. Anders hätte die Bezie­hung keinen Bestand gehabt, da in unse­rer Situa­tion – ich aus Deutsch­land, er aus Austra­lien – einer das ulti­ma­tive Opfer brin­gen musste: Auswan­dern und neu anfan­gen. Da Johan­nes sich seine Karriere in Austra­lien aufbaute und mit seiner Doktor­ar­beit für die näch­sten Jahre gebun­den war, beschloss ich auszu­wan­dern. Letzt­end­lich war ich bereits seit meinem 9. Lebens­jahr eine "Noma­din" durch die Tren­nung meiner Eltern. Es war keine leichte Entschei­dung, aber Johan­nes versprach mir, dass wir regel­mä­ßig nach Deutsch­land kommen würden, ein Verspre­chen, dem wir nach­kom­men – mit Ausnahme der Pande­mie-Peri­ode.

Johannes macht Anahid einen Heiratsantrag am Strand ein Tag nach den Silvesterfeierlichkeiten in Sydney 2017/18

Johannes macht Anahid einen Heiratsantrag am Strand ein Tag nach den Silvesterfeierlichkeiten in Sydney 2017/18

Von dem Antrag an ging es im Laufe der näch­sten Monate ans Planen der Hoch­zeit, die wir in Arme­nien feiern woll­ten. Schließ­lich war Arme­nien mehr oder weni­ger auf halbem Wege für Austra­lier und Euro­päer. Abge­se­hen davon war es unser Traum, die Hoch­zeit in unse­rer Urhei­mat in einer unse­rer jahr­tau­sen­de­al­ten Kirchen zu feiern. Dabei haben wir uns per Google Drive orga­ni­siert.

Hochzeitsorganisation mit Tabellen und Listen gespeichert auf Google Drive

Hochzeitsorganisation mit Tabellen und Listen gespeichert auf Google Drive

Die Heraus­for­de­rung bestand darin, unsere Hoch­zeit (kirch­li­che Trau­ung und Empfang) nach unse­ren Vorstel­lun­gen zu orga­ni­sie­ren, in einem Land, dessen Spra­che wir erst neu gelernt hatten. Wir haben uns für die ganze Planung viel Zeit genom­men, andert­halb Jahre, um genau zu sein. Zum einen, weil ich meinen Master abschlie­ßen wollte, bevor ich nach Austra­lien auswan­dern würde, zum ande­ren, weil wir uns erst einmal um meine Visums­un­ter­la­gen für Austra­lien kümmern muss­ten. Hier­für haben wir einen voraus­sicht­li­chen Termin für die stan­des­amt­li­che Hoch­zeit bean­tragt (Notice of Inten­ded Marriage), während ich wieder in Austra­lien zu Besuch war. Zuerst stand uns also noch die stan­des­amt­li­che Hoch­zeit in Sydney bevor, bis wir uns dann in Arme­nien das Ja-Wort geben woll­ten.

Hochzeitsorganisation mit Tabellen und Listen gespeichert auf Google Drive

Standesamtliche Trauung in Sydney, Juni 2019

Um vor Ort in Arme­nien für die Umset­zung der Hoch­zeits­pla­nung zu sein, habe ich es geschafft, mein 6‑monatiges Pflicht­prak­ti­kum für mein Studium in Europa- und Inter­na­tio­nale Studien nach Jere­wan zu verle­gen. Auf diese Weise war es mir möglich, unsere im Google Drive geplan­ten Schritte nach der Arbeit in die Tat umzu­set­zen.

Praktikum an der Staatlichen Universität Jerewan, 2019

Praktikum an der Staatlichen Universität Jerewan, 2019

Bei der ganzen Planung war unsere Haupt­re­gel, nichts dem Zufall zu über­las­sen. Alles plan­ten wir bis ins klein­ste Detail. Ich traf mich mit den Service-Anbie­tern und regelte alles, was ich vorher stets mit Johan­nes bespro­chen hatte.

In welchen Momenten hast Du an Dir gezweifelt & wie hast Du wieder Mut gefasst?

Obwohl ich mir von vorn­her­ein so sicher war, dass ich mir mein Leben nur noch mit Johan­nes an der Seite vorstel­len konnte, kamen doch immer wieder Zwei­fel auf, ob ich in der Lage wäre, mir ein neues Leben Down Under aufzu­bauen, fern von allem, was ich jemals gekannt hatte. 

Der Prozess der Auswan­de­rung war allein büro­kra­tisch voller Hinder­nisse und Heraus­for­de­run­gen: Die Aufrich­tig­keit unse­rer Bezie­hung muss­ten wir anhand von priva­ten Nach­rich­ten, gemein­sa­men Vermö­gens­ge­gen­stän­den und Fotos nach­wei­sen. Es oblag der austra­li­schen Einwan­de­rungs­be­hörde, darüber zu entschei­den, ob und wann meinem Part­ner­vi­sum statt­ge­ge­ben werden würde. 

Bei all der Hoch­zeits­pla­nung und meinem Studium musste ich zusätz­lich den Anfor­de­run­gen per "Immi-Account" online nach­kom­men – also einem Online-Profil zur Über­mitt­lung notwen­di­ger Infor­ma­tio­nen und Doku­mente an die Einwan­de­rungs­be­hörde. Einmal musste ich hier­für sogar zum biome­tri­schen Erfas­sungs­zen­trum nach Paris, um meine Finger­ab­drücke abzu­ge­ben. Außer­dem musste ich mich auf gewisse Erkran­kun­gen prüfen lassen (!). Da verlässt einen schon hin und wieder der Mut, ob eine Auswan­de­rung ins strenge Austra­lien über­haupt möglich ist und wie lange man in seinen Rech­ten beein­träch­tigt sein wird. 

Ein weite­rer Grund für Zwei­fel waren die Berufs­aus­sich­ten für mich in Austra­lien. Ich war dabei, mich dafür zu quali­fi­zie­ren, für die Euro­päi­sche Union oder gene­rell im Rahmen euro­päi­scher Programme zu arbei­ten. Und das bei meinen Auswan­de­rungs­plä­nen… Ich wusste, es würde nicht einfach werden, etwas für mich in Austra­lien zu finden. Was ich noch weni­ger wusste als jetzt war, dass so einige Abschlüsse in Austra­lien nicht voll­stän­dig aner­kannt werden und man fast immer zusätz­li­che Zerti­fi­zie­run­gen benö­tigt. Diese ganze Unge­wiss­heit über meine beruf­li­che Lauf­bahn nagte an meinen Nerven. 

Was mir jedoch Mut gege­ben hatte, war, dass ich keine Sprach­pro­bleme in Austra­lien haben würde und Johan­nes mir bei der Orien­tie­rung im System zur Seite stehen würde. Außer­dem war ich sehr flei­ßig und gewillt, mich umzu­struk­tu­rie­ren.

Wo stehst Du heute & wie sieht die Zukunft aus?

Unsere Hoch­zeit war noch schö­ner als wir es uns je hätten erträu­men können. Das wunder­schöne Kloster von Sagh­mo­sa­vank und die Präsenz unse­rer Fami­lie und Freunde aus aller Welt mach­ten unsere Trau­ung und Feier zu einem unver­gess­li­chen Erleb­nis. Gleich­zei­tig war es ein wunder­schö­ner Anlass, mich von all denen, die mir wich­tig sind, zu verab­schie­den und noch einmal eine schöne Zeit mitein­an­der zu verbrin­gen.

Johannes und Anahid nach der Trauung im wunderschönen Kloster Saghmosavank

Johannes und Anahid nach der Trauung im wunderschönen Kloster Saghmosavank

Seit­dem sind fast 5 Jahre vergan­gen, und ich wurde bereits mit zwei wunder­vol­len Töch­tern geseg­net (1 und 3 Jahre alt). Seit 2022 bin ich Perma­nent Resi­dent Austra­li­ens, was mir fast die glei­chen Rechte gibt wie ande­ren Austra­li­ern. Ich bin momen­tan noch dabei, ein Teil­zeit­stu­dium abzu­schlie­ßen, um als Sprach­leh­re­rin an weiter­füh­ren­den Schu­len tätig sein zu können (Master of Teaching Secon­dary). Tags­über bin ich also gene­rell mit dem Mutter­sein beschäf­tigt und zu Hause, nachts setze ich mich dann an meine Uniauf­ga­ben – sofern es meine Klein­ste zulässt. 

Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis ich fertig sein werde. Für mich stehen aber momen­tan meine Kinder im Vorder­grund. Auch wenn ich die gele­gent­li­chen Prak­tika und meine Kurse als Abwechs­lung genieße, berei­chert mich nichts so sehr wie die Erfah­rung, zu erle­ben, wie sich meine klei­nen Engel­chen zu star­ken Persön­lich­kei­ten entwickeln. Ich weiß, dass mein beruf­li­cher Einstieg in eine neue Gesell­schaft noch vor mir liegt, und das reicht mir. Als Mutter lernt man, dass sich manche persön­li­che Ziele gedul­den müssen. Eine Kommi­li­to­nin, eben­falls zwei­fa­che Mutter, hat mir mit einer wert­vol­len Weis­heit dabei gehol­fen, einzu­se­hen, dass es in Ordnung ist, es lang­sa­mer anzu­ge­hen: Man bereue niemals die Zeit, in der man seinen Kindern Vorrang einge­räumt hat. Die Zeit weg von den Kindern bereue man schon. Das Studium an sich hilft mir bereits sehr, mich als Austra­lie­rin zu inte­grie­ren. Momen­tan versu­che ich, meinen Kindern eine opti­male Entwick­lung zu bieten, bis sie alt genug sind.

Anahid in ihrer neuen Heimat Sydney

Anahid in ihrer neuen Heimat Sydney

Was hast Du aus dieser Erfahrung gelernt?

Was ich gelernt habe, ist, dass man immer Zeit für die wirk­lich wich­ti­gen Dinge im Leben findet. Zeit für Fami­li­en­kon­takt und Tele­fo­nate ist immer da. Das Wich­tige ist nur, sich zeit­lich gut zu orga­ni­sie­ren und Prio­ri­tä­ten zu setzen. Man muss stän­dig das große Ziel vor Augen haben und struk­tu­riert darauf hinar­bei­ten. Wie im Schach muss man mehrere Züge voraus­den­ken.

Außer­dem weiß ich, dass der Schlüs­sel zu einer Fern­be­zie­hung darin liegt, sich von vorn­her­ein darauf zu eini­gen, wie man die Distanz been­den kann – in meinem Fall mit der Auswan­de­rung nach Austra­lien. In der Zwischen­zeit ist tägli­che Kommu­ni­ka­tion das A und O.

Welche Strategien, Methoden & Tools waren entscheidend für Deinen Erfolg?

Gehol­fen auf dem Weg zur Heirat und Auswan­de­rung haben mir einige Stra­te­gien und Tools. 

Dank Eras­mus+ war es mir möglich, ein Prak­ti­kum in Arme­nien zu machen (an der Yere­van State Univer­sity im Depart­ment of Inter­na­tio­nal Rela­ti­ons). Diese Zeit war natür­lich aus profes­sio­nel­ler Sicht sehr berei­chernd, steu­erte aber zusätz­lich auch privat zur Planung meiner Hoch­zeit in Arme­nien bei.

Außer­dem sind Cloud-basierte synchrone online Tools und Spei­cher wie Google Drive Lifes­avers bei Projekt­ma­nage­ment – in unse­rem Fall die Hoch­zeit.

Welche Bücher, Podcasts oder andere Ressourcen haben dich besonders inspiriert?

Einer meiner Lieb­lings­filme ist La La Land. Der Film erzählt eine Liebes­ge­schichte zwischen zwei ambi­tio­nier­ten Menschen in der Stadt der großen Träume, Los Ange­les. Ihre Bezie­hung wird auf die Probe gestellt, und sie müssen sich entschei­den: Entwe­der für die Liebe oder für ihre Traum­kar­rie­ren. Während sie sich für ihre Karrie­ren entschei­den und ihre Träume sich erfül­len, müssen sie einse­hen, dass sie ihre Liebe dafür unwi­der­ruf­lich geop­fert haben. Wann immer ich die Epilogs­szene sehe, sehe ich mich als die Person, die sich bewusst für die Liebe entschie­den hat. Ich habe in die Zukunft geblickt und wusste, dass ich eine Liebe wie diese niemals wieder finden werde und mich niemals mit weni­ger zufrie­den geben kann.

La La Land

La La Land

Ein Buch, das ich als sehr inspi­rie­rend empfun­den habe, ist Der Alchi­mist – Paulo Coel­hos Klas­si­ker. Hier mein Lieb­lings­zi­tat aus dem Buch:

“Und wenn diese Menschen einan­der begeg­nen und ihre Augen sich finden, dann verliert die ganze Vergan­gen­heit und die ganze Zukunft an Gewicht, und es gibt nur noch diesen Augen­blick und diese abso­lute Gewiß­heit, daß alle Dinge unter der Sonne von der glei­chen Hand aufge­zeich­net wurden, von der Hand, welche die Liebe erweckt, und die eine Zwil­lings­seele für jeden Menschen vorge­se­hen hat, der unter der Sonne arbei­tet, ausruht und Schätze sucht. Denn sonst hätten die Träume des Menschen­ge­schlechts nicht den gering­sten Sinn.”

Welchen Rat kannst Du den Leuten, die Deine Geschichte hören, auf ihrem Weg mitgeben?

Mein Rat ist es, bei all den Entschei­dun­gen, die man trifft, mit sich im Reinen zu sein. Die Verant­wor­tung zu über­neh­men und über Auswir­kun­gen und Impli­ka­tio­nen nach­zu­den­ken. Denn bei so großen Entschei­dun­gen wie der, nach Austra­lien auszu­wan­dern, sollte man sich sehr sicher sein. Wenn man sich vornimmt zu heira­ten und das eine Auswan­de­rung impli­ziert, gibt es kein Zurück. Zumin­dest sollte es das nicht geben. Wie gesagt, manche denken, es sei eine leicht­sin­nige Entschei­dung, aber ich bin an die ganze Sache nie naiv heran­ge­gan­gen. Von vorn­her­ein habe ich mir klar­ge­macht, was unsere Bezie­hung für meine Zukunft bedeu­ten wird.

Wo können interessierte Personen mehr erfahren?

Insta­gram: @anahidayan 

Diese Lebensstory wurde von Hörbuchsprecherin Marleen Reifenstahl gesprochen:
Marleen Reifenstahl

Marleen Reifenstahl