Für die Liebe ans andere Ende der Welt – Zwischen Deutschland & Australien
Anahid Michaelian
Sydney, Australien
32 Jahre
Anahid Michaelian hat für die Liebe ihres Lebens, Johannes, eine mutige Entscheidung getroffen: Sie wanderte nach Australien aus. Die beiden lernten sich vor acht Jahren bei einem Freiwilligenprogramm in Armenien, im Land ihrer Vorfahren, kennen, und ihre Beziehung entwickelte sich trotz der großen Entfernung zwischen Deutschland und Australien. Nach drei Jahren heirateten sie in Armenien und zogen anschließend nach Australien, wo Anahid nun seit fünf Jahren lebt. Die Auswanderung war gut durchdacht und erforderte viel Planung, insbesondere hinsichtlich ihrer Hochzeit und des Visumprozesses. Anahid musste viele Herausforderungen überwinden, wie die bürokratischen Hürden der Einwanderung und den Aufbau einer neuen beruflichen Zukunft in Australien. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern glücklich in Australien und arbeitet daran, als Sprachlehrerin tätig zu werden. Ihre Geschichte zeigt, wie Liebe und Entschlossenheit über Grenzen hinweg triumphieren können und inspiriert andere, große Entscheidungen bewusst und mit klarem Ziel vor Augen zu treffen.
3 Impulse, die du aus Der Lebensstory für dich mitnehmen kannst
Liebe als Antrieb für mutige Entscheidungen
„Ich habe in die Zukunft geblickt und wusste, dass ich eine Liebe wie diese niemals wieder finden werde und mich niemals mit weniger zufrieden geben kann.“
➡️ Frage: Welche mutige Entscheidung hast du für die Liebe oder einen Herzenswunsch getroffen?
Strukturierte Planung für große Lebensschritte
„Bei der ganzen Planung war unsere Hauptregel, nichts dem Zufall zu überlassen. Alles planten wir bis ins kleinste Detail.“
➡️ Lesson: Große Veränderungen verlangen nach präziser Planung. Wie sorgst du dafür, dass du deinen nächsten großen Schritt strategisch angehst?
Gemeinsam die Zukunft gestalten
„Obwohl ich mir von vornherein so sicher war, dass ich mir mein Leben nur noch mit Johannes an der Seite vorstellen konnte, kamen doch immer wieder Zweifel auf.“
➡️ Inspiration: Wie meisterst du Unsicherheiten bei Entscheidungen, die langfristige Auswirkungen auf dein Leben haben?
Wer bist Du & welche Lebensstory möchtest Du uns heute erzählen?
Mein Name ist Anahid Michaelian. Ich bin 32 Jahre alt und habe Sprachen und Kulturen studiert. Heute möchte ich euch von meiner lebensverändernden Entscheidung erzählen, für die Liebe meines Lebens nach Australien auszuwandern.
Mein Ehemann Johannes und ich haben uns im Rahmen eines Freiwilligenprogramms vor 8 Jahren in Armenien kennengelernt. Nach unserer ersten Begegnung wusste ich bereits, dass uns ein starker Bund zusammenhält. Wir sind beide dem Ruf in die Ferne gefolgt, um unsere Grenzen zu testen und uns selbst zu finden. Was wir jedoch beide nicht wussten, war, dass unsere Identitätsfindung zu einer gemeinsamen Erfahrung werden würde.
Das klingt vielleicht alles nach einer naiven, gar leichtsinnigen Fantasie. Unsere Überzeugung aber, dass wir füreinander bestimmt sind, hat uns 3 Jahre später vor den Traualtar nach Armenien geführt. Kurze Zeit später ging es dann nach Australien, wo ich mir nun seit fast 5 Jahren eine neue Existenz aufbaue. Nichts an der systematischen Planung meiner Hochzeit und der Emigration war naiv. Im Gegenteil, alles musste sehr gut durchdacht und strukturiert geplant werden. Darüber handelt meine Lebensstory.
Anahid und Johannes lernen sich 2016 während eines Freiwilligenprogramms in der Heimat ihrer Eltern in Armenien kennen – 3 Jahre später heiraten sie in dem Land, in dem sie sich kennenlernten.
Wie kam es dazu & was ging Dir durch den Kopf?
Ich wurde in Celle in Niedersachsen geboren. In dieser kleinen Stadt, die bekannt ist für ihre Fachwerkhäuser, bin ich mit meinen Schwestern und Eltern aufgewachsen. Als ich 8 Jahre alt war, entschloss sich mein Vater, nach Marseille in Frankreich auszuwandern, da es dort eine große armenische Gemeinde gibt und es ihn in den Süden zog. Die Ehe meiner Eltern zerbrach leider ein Jahr später, und meine Schwestern und ich zogen mit meiner Mutter zu ihrer Familie nach Wiesbaden. Dort lebte ich, bis ich nach dem Abitur fürs Studium nach Köln zog. Seit meiner Rückkehr aus Frankreich fühlte ich mich in Deutschland fremd und sehnte mich danach, mich in meiner kulturellen Identität zu festigen.
Nach meinem Bachelorabschluss 2016 in Europäischer Rechtslinguistik an der Universität zu Köln nahm ich mir vor, meinen sehnlichsten Wunsch endlich zu erfüllen: Eine Abenteuerreise in das Land meiner Vorfahren – Armenien. Aber nicht einfach ein gewöhnlicher, befristeter Kurzurlaub als Touristin: Ich wollte eine authentische Erfahrung und Armenisch lernen, da ich mir schon immer vorgenommen hatte, die in meiner Familie durch Unterdrückung verlorene Sprache wieder zurückzuerlangen. Trotz aller Sprachen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt bereits gelernt hatte, wusste ich, dass mir die Erlernung der wichtigsten noch bevorstand. Also beschloss ich, direkt nach dem Bachelor für 6 Monate in Armenien zu leben, nachdem ich zwei Jahre zuvor vom Birthright Armenia-Programm gehört hatte.
Anahid erlernt auf ihrer Reise in Armenien die Muttersprache ihrer Vorfahren – Armenisch
Es war ein sehr großer Schritt für mich, da ich bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas alleine getan hatte: Ich bin ein Zwilling. Was aus dieser Entscheidung folgte, waren 6 Monate „journey of self-discovery“ (Selbstentdeckungsreise, das Motto des Programms Birthright Armenia).
Anahid mit ihrer Zwillingsschwester Ani
Es war also die Entscheidung, meinem Ruf in die Heimat zu folgen, die mir meine sehnlichsten Wünsche erfüllt hat: die Sprache meiner Vorfahren zu lernen, als Teil der Selbstfindung.
Anahid während eines Freiwilligendienstes in Tigranakert/Arzach (Nagorno-Karabach), Oktober 2016
Wie bist Du zu Beginn vorgegangen?
Nachdem ich vom Birthright-Armenia-Programm angenommen worden war, war mein Ziel grundsätzlich, nach erfolgreichem Spracherwerb nach Deutschland zurückzukehren und meinen Master eventuell in Frankreich bei meinem Vater in Marseille zu absolvieren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich stets durch das Leben gehetzt. Ich wollte immer nur so schnell wie möglich mit dem Studium fertig werden, dann arbeiten, dann heiraten, dann Kinder haben und und und… Doch mein Studium war nicht das, was ich mir erhofft hatte: Die Jurakurse empfand ich als Strapaze, die sprachwissenschaftlichen Veranstaltungen folgten der Devise, Sprachen seien ein lebloses Fach, und der sprachpraktische Anteil war vom Niveau her weit unter dem meines Abitur-Leistungskurses. Nach meinem also eher ernüchternden Bachelorstudium nahm ich mir entschlossen vor, meinem Herzen zu folgen und darauf zu vertrauen, dass Gott die Planung in die Hände nimmt.
Syunik-Region im Süden Armeniens: Anahid spürt, dass sie was mit diesem Land verbindet.
Armenien war schließlich, was ich mir erhofft hatte: eine immersive Erfahrung. Ich fühlte mich so geerdet wie noch nie und war in Gesellschaft vieler anderer junger Leute, die aus ähnlichen Gründen Freiwilligendienst in der Heimat der Vorfahren leisten wollten. Der Freiwilligendienst bestand hauptsächlich aus Job-Placements, die an unsere Profession angepasst waren, und an den Wochenenden hatten wir entweder Exkursionen oder Community Service (Feldarbeit, Bäume pflanzen etc.). Eines führte schließlich zum anderen, und ich traf bereits in der ersten Woche Johannes, der ebenfalls nichts sehnlicher wollte, als sich und sein kulturelles Erbe besser kennenzulernen.
Johannes war bereits seit 7 Monaten in Armenien, als ich ankam. Er verbrachte seine letzten Wochen dort. Etwas, das ich mir zu jenem Zeitpunkt niemals hätte vorstellen können, war, für jemanden ans andere Ende der Welt zu ziehen. Als ich ihn jedoch traf, wusste ich, dass er etwas Besonderes war. Wir hatten beide an einem 4‑Tage-Ausflug nach Nagorno-Karabach/Arzach teilgenommen. Ich bemerkte ihn im historischen Kloster von Tatev in den südlichen Bergen Armeniens in einem sehr verwundbaren Moment: Er war am Beten. Als wir das Kloster verließen, musterte ich ihn nachdenklich, da ich mir nicht ausmalen konnte, woher er kam. Während des Abendessens in den Räumlichkeiten des Klosters Gandzasar im von Krieg zerrütteten Arzach sprach er mich dann selbst neugierig an. Ich war ihm aufgefallen, weil ich ein neues Gesicht war. Was ich von Anhieb an ihm mochte, war die Wärme, die er mit Blick und Wort ausstrahlte. Ich war selbst verblüfft, wie sehr seine Präsenz mich einnahm, da ich keine Person bin, die sich schnell in jemanden verguckt. Er schien aber so anders. Nach unserer ersten Unterhaltung kurz darauf kamen unsere Wohnsitze zur Sprache, und ich schlug ihn mir aufgrund der Entfernung sofort aus dem Kopf. Während unseres Ausflugs kreuzten sich jedoch unsere Wege mehrmals, und wir stellten sogar fest, dass wir eine gemeinsame Freundin in Deutschland hatten, die uns tatsächlich bereits voneinander erzählt hatte. Nach dem Ausflug trennten sich unsere Wege, da ich in Jerewan platziert war und er in Gyumri.
Johannes beim Beten im historischen Kloster in Tatev, Armenien.
Zwei Monate später, in seiner letzten Woche in Armenien, verbrachten wir gemeinsam ein paar Tage im Birthright-Büro, um von dort aus zu arbeiten, statt wie gewöhnlich an unseren Arbeitsplätzen. Ich, weil mein Chef zu der Zeit verhindert war, und er, weil er im Endstadium war und sich um seine Abmeldung kümmern musste. So kam es, dass er, während ich im Homeoffice arbeitete, regelmäßig Gespräche einleitete über seine Erfahrungen, das Leben, Gott und die Welt. Wir gaben uns gegenseitig Ratschläge und sprachen sehr offen miteinander. Wieder spürte ich, wie viel wir gemeinsam hatten und uns trotz Verschiedenheiten doch so ähnlich waren. Seine Offenheit über Beziehungs- und Zukunftsvorstellungen war erfrischend, und es machte es mir so leicht, meine Schüchternheit zu überwinden. Dann war er aber schon weg, und was blieb, waren auferweckte Gefühle, die vergeblich schienen.
Später, Monate nachdem er bereits zurück in Australien war und ich mich einer Freundin vor Ort bezüglich meiner Gefühle ihm gegenüber anvertraut hatte, gab sie mir den Ansporn, meinem Herzen zu folgen und ihm zu schreiben. Bevor ich dies tat, hatte ich mir bereits wochenlang meine Zukunft im Kopf ausgemalt. Wo wollte ich hin in meinem Leben? Was war mir wichtig? Was war meiner Familie wichtig? Ich muss mir heute noch oft von Leuten anhören, dass ich meine Eltern verlassen habe. Es stimmt, aber ich hätte es nie ohne ihren Segen getan. Von vornherein hatte ich meine Eltern über meine Bedenken wegen der Entfernung eingeweiht. Beide aber kannten mich zu gut, um zu wissen, dass ich eine reflektierte Person bin, die ihre Entscheidungen nicht bereut. Sie wollten, dass ich glücklich bin, und haben mich ermutigt. Ihre Unterstützung hat mir letztendlich den Ansporn gegeben, meine Lovestory zu verwirklichen.
Wie ging es dann weiter?
Schließlich machte ich den nächsten Schritt und schrieb ihm. Ich bedankte mich bei ihm, dass er mich angespornt hatte, während meiner Zeit in Armenien ins kalte Wasser zu springen und wie er die Hauptstadt zu verlassen, um mein Armenisch zu vertiefen. Er war sehr berührt von der Kontaktaufnahme. Sie geschah zu einem Zeitpunkt, in dem er nichts sehnlicher brauchte als eine Seelenverwandte. Wir fingen an, uns täglich zu schreiben. Wir führten Videocalls, um uns gegenseitig in unseren Alltag zu integrieren, und sprachen über jeden Bereich unseres Lebens. Neckereien entwickelten sich zu Gefühlsausdrücken, und schon bald sprachen wir über eine Beziehung. So begann unsere Beziehung tatsächlich als Fernbeziehung.
Mit der Entfernung kam auch die Zeitverschiebung, die uns vieles abverlangte. Wir haben in unserer vollen Alltagsagenda Prioritäten gesetzt: Egal, was kommt, wir nehmen uns täglich die Zeit, wenigstens 10–20 Minuten miteinander zu telefonieren. Wenn man will, findet man immer Zeit, sei es während des Pendelns zur Arbeit, beim Frühstück oder kurz vorm Schlafengehen. Wir kannten keine Ausreden. Durch diesen ständigen Kontakt fühlten wir uns näher und als wären wir Teil im Leben des anderen. Dabei riefen wir uns auch spontan an, so als würden uns keine Kontinente trennen. Schließlich überraschte er mich und kam ein paar Wochen nach meiner Rückkehr aus Armenien den ganzen Weg nach Deutschland! Das war drei Monate, nachdem wir angefangen hatten zu schreiben. Er kam, um sich meinen Eltern und Schwestern vorzustellen.
Johannes und Anahid bei einem ihrer täglichen Routine-Calls.
So planten wir als Nächstes meine Reise nach Australien, um seine Welt kennenzulernen. Während dieses ersten Besuchs in Australien kam es schließlich zum Heiratsantrag, wobei wir bereits von vornherein über unsere Zukunftsvorstellungen gesprochen hatten. Anders hätte die Beziehung keinen Bestand gehabt, da in unserer Situation – ich aus Deutschland, er aus Australien – einer das ultimative Opfer bringen musste: Auswandern und neu anfangen. Da Johannes sich seine Karriere in Australien aufbaute und mit seiner Doktorarbeit für die nächsten Jahre gebunden war, beschloss ich auszuwandern. Letztendlich war ich bereits seit meinem 9. Lebensjahr eine "Nomadin" durch die Trennung meiner Eltern. Es war keine leichte Entscheidung, aber Johannes versprach mir, dass wir regelmäßig nach Deutschland kommen würden, ein Versprechen, dem wir nachkommen – mit Ausnahme der Pandemie-Periode.
Johannes macht Anahid einen Heiratsantrag am Strand ein Tag nach den Silvesterfeierlichkeiten in Sydney 2017/18
Von dem Antrag an ging es im Laufe der nächsten Monate ans Planen der Hochzeit, die wir in Armenien feiern wollten. Schließlich war Armenien mehr oder weniger auf halbem Wege für Australier und Europäer. Abgesehen davon war es unser Traum, die Hochzeit in unserer Urheimat in einer unserer jahrtausendealten Kirchen zu feiern. Dabei haben wir uns per Google Drive organisiert.
Hochzeitsorganisation mit Tabellen und Listen gespeichert auf Google Drive
Die Herausforderung bestand darin, unsere Hochzeit (kirchliche Trauung und Empfang) nach unseren Vorstellungen zu organisieren, in einem Land, dessen Sprache wir erst neu gelernt hatten. Wir haben uns für die ganze Planung viel Zeit genommen, anderthalb Jahre, um genau zu sein. Zum einen, weil ich meinen Master abschließen wollte, bevor ich nach Australien auswandern würde, zum anderen, weil wir uns erst einmal um meine Visumsunterlagen für Australien kümmern mussten. Hierfür haben wir einen voraussichtlichen Termin für die standesamtliche Hochzeit beantragt (Notice of Intended Marriage), während ich wieder in Australien zu Besuch war. Zuerst stand uns also noch die standesamtliche Hochzeit in Sydney bevor, bis wir uns dann in Armenien das Ja-Wort geben wollten.
Standesamtliche Trauung in Sydney, Juni 2019
Um vor Ort in Armenien für die Umsetzung der Hochzeitsplanung zu sein, habe ich es geschafft, mein 6‑monatiges Pflichtpraktikum für mein Studium in Europa- und Internationale Studien nach Jerewan zu verlegen. Auf diese Weise war es mir möglich, unsere im Google Drive geplanten Schritte nach der Arbeit in die Tat umzusetzen.
Praktikum an der Staatlichen Universität Jerewan, 2019
Bei der ganzen Planung war unsere Hauptregel, nichts dem Zufall zu überlassen. Alles planten wir bis ins kleinste Detail. Ich traf mich mit den Service-Anbietern und regelte alles, was ich vorher stets mit Johannes besprochen hatte.
In welchen Momenten hast Du an Dir gezweifelt & wie hast Du wieder Mut gefasst?
Obwohl ich mir von vornherein so sicher war, dass ich mir mein Leben nur noch mit Johannes an der Seite vorstellen konnte, kamen doch immer wieder Zweifel auf, ob ich in der Lage wäre, mir ein neues Leben Down Under aufzubauen, fern von allem, was ich jemals gekannt hatte.
Der Prozess der Auswanderung war allein bürokratisch voller Hindernisse und Herausforderungen: Die Aufrichtigkeit unserer Beziehung mussten wir anhand von privaten Nachrichten, gemeinsamen Vermögensgegenständen und Fotos nachweisen. Es oblag der australischen Einwanderungsbehörde, darüber zu entscheiden, ob und wann meinem Partnervisum stattgegeben werden würde.
Bei all der Hochzeitsplanung und meinem Studium musste ich zusätzlich den Anforderungen per "Immi-Account" online nachkommen – also einem Online-Profil zur Übermittlung notwendiger Informationen und Dokumente an die Einwanderungsbehörde. Einmal musste ich hierfür sogar zum biometrischen Erfassungszentrum nach Paris, um meine Fingerabdrücke abzugeben. Außerdem musste ich mich auf gewisse Erkrankungen prüfen lassen (!). Da verlässt einen schon hin und wieder der Mut, ob eine Auswanderung ins strenge Australien überhaupt möglich ist und wie lange man in seinen Rechten beeinträchtigt sein wird.
Ein weiterer Grund für Zweifel waren die Berufsaussichten für mich in Australien. Ich war dabei, mich dafür zu qualifizieren, für die Europäische Union oder generell im Rahmen europäischer Programme zu arbeiten. Und das bei meinen Auswanderungsplänen… Ich wusste, es würde nicht einfach werden, etwas für mich in Australien zu finden. Was ich noch weniger wusste als jetzt war, dass so einige Abschlüsse in Australien nicht vollständig anerkannt werden und man fast immer zusätzliche Zertifizierungen benötigt. Diese ganze Ungewissheit über meine berufliche Laufbahn nagte an meinen Nerven.
Was mir jedoch Mut gegeben hatte, war, dass ich keine Sprachprobleme in Australien haben würde und Johannes mir bei der Orientierung im System zur Seite stehen würde. Außerdem war ich sehr fleißig und gewillt, mich umzustrukturieren.
Wo stehst Du heute & wie sieht die Zukunft aus?
Unsere Hochzeit war noch schöner als wir es uns je hätten erträumen können. Das wunderschöne Kloster von Saghmosavank und die Präsenz unserer Familie und Freunde aus aller Welt machten unsere Trauung und Feier zu einem unvergesslichen Erlebnis. Gleichzeitig war es ein wunderschöner Anlass, mich von all denen, die mir wichtig sind, zu verabschieden und noch einmal eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.
Johannes und Anahid nach der Trauung im wunderschönen Kloster Saghmosavank
Seitdem sind fast 5 Jahre vergangen, und ich wurde bereits mit zwei wundervollen Töchtern gesegnet (1 und 3 Jahre alt). Seit 2022 bin ich Permanent Resident Australiens, was mir fast die gleichen Rechte gibt wie anderen Australiern. Ich bin momentan noch dabei, ein Teilzeitstudium abzuschließen, um als Sprachlehrerin an weiterführenden Schulen tätig sein zu können (Master of Teaching Secondary). Tagsüber bin ich also generell mit dem Muttersein beschäftigt und zu Hause, nachts setze ich mich dann an meine Uniaufgaben – sofern es meine Kleinste zulässt.
Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis ich fertig sein werde. Für mich stehen aber momentan meine Kinder im Vordergrund. Auch wenn ich die gelegentlichen Praktika und meine Kurse als Abwechslung genieße, bereichert mich nichts so sehr wie die Erfahrung, zu erleben, wie sich meine kleinen Engelchen zu starken Persönlichkeiten entwickeln. Ich weiß, dass mein beruflicher Einstieg in eine neue Gesellschaft noch vor mir liegt, und das reicht mir. Als Mutter lernt man, dass sich manche persönliche Ziele gedulden müssen. Eine Kommilitonin, ebenfalls zweifache Mutter, hat mir mit einer wertvollen Weisheit dabei geholfen, einzusehen, dass es in Ordnung ist, es langsamer anzugehen: Man bereue niemals die Zeit, in der man seinen Kindern Vorrang eingeräumt hat. Die Zeit weg von den Kindern bereue man schon. Das Studium an sich hilft mir bereits sehr, mich als Australierin zu integrieren. Momentan versuche ich, meinen Kindern eine optimale Entwicklung zu bieten, bis sie alt genug sind.
Anahid in ihrer neuen Heimat Sydney
Was hast Du aus dieser Erfahrung gelernt?
Was ich gelernt habe, ist, dass man immer Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben findet. Zeit für Familienkontakt und Telefonate ist immer da. Das Wichtige ist nur, sich zeitlich gut zu organisieren und Prioritäten zu setzen. Man muss ständig das große Ziel vor Augen haben und strukturiert darauf hinarbeiten. Wie im Schach muss man mehrere Züge vorausdenken.
Außerdem weiß ich, dass der Schlüssel zu einer Fernbeziehung darin liegt, sich von vornherein darauf zu einigen, wie man die Distanz beenden kann – in meinem Fall mit der Auswanderung nach Australien. In der Zwischenzeit ist tägliche Kommunikation das A und O.
Welche Strategien, Methoden & Tools waren entscheidend für Deinen Erfolg?
Geholfen auf dem Weg zur Heirat und Auswanderung haben mir einige Strategien und Tools.
Dank Erasmus+ war es mir möglich, ein Praktikum in Armenien zu machen (an der Yerevan State University im Department of International Relations). Diese Zeit war natürlich aus professioneller Sicht sehr bereichernd, steuerte aber zusätzlich auch privat zur Planung meiner Hochzeit in Armenien bei.
Außerdem sind Cloud-basierte synchrone online Tools und Speicher wie Google Drive Lifesavers bei Projektmanagement – in unserem Fall die Hochzeit.
Welche Bücher, Podcasts oder andere Ressourcen haben dich besonders inspiriert?
Einer meiner Lieblingsfilme ist La La Land. Der Film erzählt eine Liebesgeschichte zwischen zwei ambitionierten Menschen in der Stadt der großen Träume, Los Angeles. Ihre Beziehung wird auf die Probe gestellt, und sie müssen sich entscheiden: Entweder für die Liebe oder für ihre Traumkarrieren. Während sie sich für ihre Karrieren entscheiden und ihre Träume sich erfüllen, müssen sie einsehen, dass sie ihre Liebe dafür unwiderruflich geopfert haben. Wann immer ich die Epilogsszene sehe, sehe ich mich als die Person, die sich bewusst für die Liebe entschieden hat. Ich habe in die Zukunft geblickt und wusste, dass ich eine Liebe wie diese niemals wieder finden werde und mich niemals mit weniger zufrieden geben kann.
La La Land
Ein Buch, das ich als sehr inspirierend empfunden habe, ist Der Alchimist – Paulo Coelhos Klassiker. Hier mein Lieblingszitat aus dem Buch:
“Und wenn diese Menschen einander begegnen und ihre Augen sich finden, dann verliert die ganze Vergangenheit und die ganze Zukunft an Gewicht, und es gibt nur noch diesen Augenblick und diese absolute Gewißheit, daß alle Dinge unter der Sonne von der gleichen Hand aufgezeichnet wurden, von der Hand, welche die Liebe erweckt, und die eine Zwillingsseele für jeden Menschen vorgesehen hat, der unter der Sonne arbeitet, ausruht und Schätze sucht. Denn sonst hätten die Träume des Menschengeschlechts nicht den geringsten Sinn.”
Welchen Rat kannst Du den Leuten, die Deine Geschichte hören, auf ihrem Weg mitgeben?
Mein Rat ist es, bei all den Entscheidungen, die man trifft, mit sich im Reinen zu sein. Die Verantwortung zu übernehmen und über Auswirkungen und Implikationen nachzudenken. Denn bei so großen Entscheidungen wie der, nach Australien auszuwandern, sollte man sich sehr sicher sein. Wenn man sich vornimmt zu heiraten und das eine Auswanderung impliziert, gibt es kein Zurück. Zumindest sollte es das nicht geben. Wie gesagt, manche denken, es sei eine leichtsinnige Entscheidung, aber ich bin an die ganze Sache nie naiv herangegangen. Von vornherein habe ich mir klargemacht, was unsere Beziehung für meine Zukunft bedeuten wird.
Wo können interessierte Personen mehr erfahren?
Instagram: @anahidayan