Mehr als Karriere: Die Suche nach Sinn und Freiheit

Jay Lau
Singapur, Singapur
34 Jahre
Jay wuchs in Singapur auf, doch seine Sehnsucht nach der Welt führte ihn mit 21 Jahren nach Deutschland und Großbritannien. Seine Karriere bei einer Fluggesellschaft ermöglichte ihm das Reisen und brachte ihn bis nach Australien, wo er als Stationsleiter tätig war. Trotz Erfolg und beruflicher Erfüllung spürte er eine innere Leere, die durch die Corona-Pandemie verstärkt wurde. Eine viermonatige Auszeit auf Teneriffa half ihm zu erkennen, dass seine wahre Leidenschaft in der Begegnung mit anderen Kulturen liegt. Zurück im Job versuchte er, durch Sport und bewusste Auszeiten sein Gleichgewicht zu finden, doch der ständige Druck ließ ihn nicht los. 2024 zog er die Konsequenz und kündigte, um seinem eigenen Glück mehr Raum zu geben. Heute steht er an einem Punkt der Unsicherheit – aber auch der Freiheit. Seine Reise führt ihn nun auf die schönsten Wanderwege der Welt, während er nach seiner eigenen Antwort auf die Frage sucht, was wahres Glück bedeutet.
3 Impulse, die du aus Der Lebensstory für dich mitnehmen kannst
Mut zur Veränderung
„Es waren nicht die Umstände, die mich unglücklich machten, sondern meine eigene Haltung gegenüber der Arbeit. Es war der Moment, in dem ich wusste: Es ist Zeit, auszutreten.“
➡️Reflexion: Gibt es Bereiche in deinem Leben, in denen du aus alten Mustern ausbrechen solltest, um dein wahres Potenzial zu entfalten?
Selbstfindung durch neue Erfahrungen
„Auf Teneriffa, wo ich surfte, Spanisch lernte und mit zwei linken Füßen tanzte, fand ich heraus, dass meine wahre Leidenschaft in der Begegnung mit anderen Kulturen und Menschen liegt.“
➡️Inspiration: Wann hast du das letzte Mal etwas völlig Neues ausprobiert? Wie hat es deine Perspektive verändert?
Unsicherheit als Chance begreifen
„Heute stehe ich immer noch an diesem Punkt der Unsicherheit – und das ist okay. Die Unsicherheit, die mich begleitet, ist zugleich meine größte Freiheit.“
➡️Lesson: Veränderung bringt Unsicherheit – aber genau darin liegt das größte Wachstumspotenzial. Wie gehst du mit Unsicherheit in deinem Leben um?
Wer bist Du & welche Lebensstory möchtest Du uns heute erzählen?
Hallo! Ich bin Jay.

Jays Lebensstory startet im kleinen Stadtstaat Singapur.
Ich wuchs im kleinen Stadtstaat Singapur auf, fernab von Bergluft, hohen Gipfeln und goldenen Stränden. Doch schon als Kind verspürte ich eine tiefe Sehnsucht, die Welt zu erkunden. Mit 21 Jahren wagte ich schließlich den Schritt nach Deutschland und Großbritannien, wo ich ein internationales Studium absolvierte. Mein Studium stillte zwar meine Reiselust, doch gleichzeitig entfachte es den Wunsch, in einem globalen Umfeld zu arbeiten. So begann ich meine Karriere bei einer Fluggesellschaft und übernahm viele spannende Aufgaben im Bereich Flughafenbetrieb in Singapur, Deutschland und Australien. Doch vor sechs Monaten traf ich eine Entscheidung, die viele vielleicht nicht nachvollziehen konnten – ich gab diese Karriere auf.

Jay liebt es die Welt zu erkunden – hier beim Bergwandern in den französischen Alpen
Wie kam es dazu & was ging Dir durch den Kopf?
Ich hatte beruflich alles, was man sich wünschen konnte: die Freiheit, die Welt zu bereisen, Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, an besonderen Momenten teilzuhaben (wie der Hochzeit von Mattias) und an bedeutenden Projekten zu arbeiten. Ich führte neue IT-Systeme ein, vertrat die Fluggesellschaft bei internationalen Meetings und trug zum Umstrukturierungs- sowie Transformationsprogramm des Unternehmens bei – eine Rolle, die für meine begrenzte Berufserfahrung mit erheblicher Verantwortung verbunden war.

Wochenendausflug zur Hochzeit von Jays Freunden von Australien nach Deutschland und zurück.
Meine Karriere schien auf dem richtigen Weg zu sein, und ich übernahm meine erste Rolle als Stationsleiter in Düsseldorf, wobei ich für ein Team von fünf Mitarbeitern und den operativen Erfolg am Flughafen verantwortlich war. Doch trotz des Erfolgs schwirrten einige Fragen in meinem Kopf: Warum tue ich, was ich tue? Was treibt mich an? Ist es wirklich das Streben nach Glück oder Perfektionismus? Und wenn wir uns in unseren Zielen treiben lassen – sind es dann wirklich unsere eigenen Wünsche oder nur die Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens, wie die Miete zu bezahlen oder der Verantwortung gegenüber der Familie?

Jay führt nach außen hin ein erfolgreiches Leben, doch die grundlegenden Fragen des Lebens lassen ihn nicht los. (Yamzhong Yumco, Tibet)
Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass etwas schieflaufen könnte. Ich genoss meinen Job, liebte meine Kollegen, konnte mein Privatleben gut vom Beruf trennen und hatte einen tollen Freundeskreis in Düsseldorf. Trotz meiner erfüllten Karriere und meines zufriedenen Privatlebens blieb das Gefühl, dass etwas fehlte. Dann kam die Corona-Pandemie. Die Welt, wie wir sie kannten, brach zusammen. Unsere Branche stagnierte, und plötzlich war nichts mehr sicher. Genau in diesem Moment stellte sich mir die Frage: „Was ist wirklich wichtig?“
Wie bist Du zu Beginn vorgegangen?

Jay fliegt nach Teneriffa (links), trinkt seinen ersten Barranquilla (rechts unten) und erkundet den Taborno auf einem seiner ersten Wanderungen in Teneriffa (rechts oben).

Jay besteigt auf Teneriffa den höchsten Berg in Spanien Mt Teide (3718 m)
Ich weiß, dass der Gedanke, eine Auszeit zu nehmen, oft mit einem Privileg verbunden ist, das nicht jeder hat. Es wäre unverschämt zu behaupten, dass diese Reise das Allheilmittel für alle ist. Doch der wahre Wert lag nicht in der Tatsache, dass ich mir diese Auszeit leisten konnte, sondern in der Erkenntnis, dass wir alle – unabhängig von unseren Umständen – die Fähigkeit haben, uns zu hinterfragen. Auch Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, verdienen es, über ihre Wünsche und Ziele nachzudenken. Der Weg zu einem erfüllteren Leben muss nicht durch eine Auszeit oder das Verlassen des gewohnten Rahmens führen. Es kann auch durch kleine, tägliche Entscheidungen geschehen, die mehr in Einklang mit den eigenen Werten und Prioritäten stehen.
Als ich nach sechs Monaten an den Arbeitsplatz zurückkehrte, führte mich meine Karriere in neue, herausfordernde Positionen. Ich zog nach Australien, um als Stationsleiter eines größeren Betriebs zu arbeiten, übernahm komplexere Projekte und trug mehr Verantwortung – diesmal jedoch mit einer gesünderen Routine, die es mir ermöglichte, meinen Lebensgeist voll auszuleben. Doch je mehr ich meine Karriere ausbaute, desto weniger Zeit blieb für mich selbst. Der Preis war eine ständige Erreichbarkeit, Schlaflosigkeit und das Gefühl, von einem hohen Ziel zum nächsten zu hetzen – ohne je zu wissen, ob es das wirklich wert war.
An Silvester 2022/2023 lud mich eine Freundin zu ihrer Silvesterfeier ein. Doch als ich die Feuerwerke von ihrem Balkon betrachtete, kam mir die Erkenntnis: Was hatte ich wirklich erreicht? Was war der wahre Preis meines Erfolges? War es nur der Job, der mich erfüllte, oder war es etwas anderes? Und wenn es etwas anderes war – wie konnte ich mehr davon bekommen?
Wie ging es dann weiter?
2023 begann ich, die Probleme in meiner Karriere zu analysieren, um gezielte Lösungen zu finden. Um der ständigen Rufbereitschaft zu entkommen, wählte ich Urlaubsdestinationen in der Wildnis ohne Mobilfunknetz. Zur Stressbewältigung verdoppelte ich meine Sportroutine und trainierte zweimal täglich, um mich vor und nach der Arbeit zu entspannen.

Jay sucht sich abgelegene Orte, um dem Stress zu entfliehen – hier die Fidschi-Inseln.
Jay unternimmt eine Bergwanderung in den Dolomiten
Doch trotz all dieser Strategien stellte ich fest: Je mehr ich versuchte, mein Leben meiner Karriere anzupassen, desto klarer wurde mir, dass nicht die Umstände mich unglücklich machten, sondern meine eigene Haltung gegenüber der Arbeit. In diesem Moment wusste ich: Es war Zeit auszutreten. Im Oktober 2024 reichte ich meine Kündigung ein – ein Akt der Selbstbefreiung, ein Zeichen dafür, dass ich bereit war, für mein eigenes Glück zu kämpfen.
Auf einer Wand in Berlin
In welchen Momenten hast Du an Dir gezweifelt & wie hast Du wieder Mut gefasst?
Nach meiner Kündigung begegneten mir viele Fragen von Kollegen und Vorgesetzten: „Was meinst du, einfach aussteigen? Bist du verrückt?“ Viele konnten meine Entscheidung nicht nachvollziehen, und je höher die Hierarchieebene, der ich begegnete, desto schwieriger wurde es, an meiner Entscheidung festzuhalten.
Doch obwohl ich Zweifel hatte, wusste ich tief in meinem Herzen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Einige meiner Vorgesetzten, die mich wirklich verstanden, ermutigten mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Sie wussten, dass ich immer anders war und meine Persönlichkeit nie in das traditionelle Karrierebild passte. Ihre Unterstützung gab mir den Mut, an meiner Entscheidung festzuhalten.
Wo stehst Du heute & wie sieht die Zukunft aus?
Heute stehe ich immer noch an diesem Punkt der Unsicherheit – und das ist okay. Es ist beängstigend, ja. Die Zukunft wirkt erschreckend, planlos und ziellos. Doch anstatt von einer Gelegenheit zur nächsten zu springen, versuche ich nun, Schritt für Schritt gezielte Entscheidungen zu treffen, die mein Wohlbefinden und mein Glück in den Mittelpunkt stellen.
Die Unsicherheit, die mich begleitet, ist zugleich meine größte Freiheit. Der Mut, die eigenen Werte zu hinterfragen, ist kein Zeichen von Schwäche oder Privileg – es ist mein Schritt in Richtung wahrer Verantwortung, sowohl für mich selbst als auch für die Welt um mich herum.
Derzeit plane ich eine einjährige Weltreise, um die bedeutendsten Wanderwege zu erkunden. Solange es meine körperliche Verfassung zulässt, möchte ich die schönsten und ruhigsten Ecken der Welt erleben.
Was hast Du aus dieser Erfahrung gelernt?
Ich bin immer noch auf der Suche nach dem „Warum“. Doch ich habe gelernt, dass es nicht nur darum geht, Antworten zu finden – manchmal ist die Suche selbst die Antwort. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig nach mehr streben: mehr Erfolg, mehr Anerkennung, mehr Wohlstand. Doch die wahre Herausforderung besteht darin, den Mut zu haben, innezuhalten und sich selbst zu fragen: Was will ich wirklich?
Welche Strategien, Methoden & Tools waren entscheidend für Deinen Erfolg?
Ja, ich zweifle immer noch. Vielleicht werde ich eines Tages feststellen, dass dieser Schritt nicht der richtige war. Aber das ist okay. Der Prozess des Lernens, Wachsens und der Selbstfindung verläuft nie geradlinig.
Welche Bücher, Podcasts oder andere Ressourcen haben dich besonders inspiriert?
-
The Motorcycle Diaries. Latinoamericana. Tagebuch einer Motorradreise von Che Guevara: „At night, after the exhausting games of canasta, we would look out over the immense sea, full of white-flecked and green reflections, the two of us leaning side by side on the railing, each of us far away, flying in his own aircraft to the stratospheric regions of our own dreams. There we understood that our vocation, our true vocation, was to move for eternity along the roads and seas of the world. Always curious, looking into everything that came before our eyes, sniffing out each corner but only ever faintly – not setting down roots in any land or staying long enough to see the substratum of things; the outer limits would suffice.“
-
The Strange Death of the Liberal Individual von Yanis Varoufakis: „Finding something timelessly beautiful to focus on… is our only defence from the demons circling our soul.“
-
Travels with Charley von John Steinbeck: „When I was very young and the urge to be someplace else was on me, I was assured by mature people that maturity would cure this itch. When years described me as mature, the remedy prescribed was middle age. In middle age I was assured greater age would calm my fever and now that I am fifty-eight perhaps senility will do the job. Nothing has worked. Four hoarse blasts of a ship’s whistle still raise the hair on my neck and set my feet to tapping. The sound of a jet, an engine warming up, even the clopping of shod hooves on pavement brings on the ancient shudder, the dry mouth and vacant eye, the hot palms and the churn of stomach high up under the rib cage. In other words, once a bum always a bum. I fear this disease incurable. I set this matter down not to instruct others but to inform myself… A journey is a person in itself; no two are alike. And all plans, safeguards, policing, and coercion are fruitless. We find after years of struggle that we not take a trip; a trip takes us.“
-
On the Road von Jack Kerouac: „I had nothing to offer anybody except my own confusion.… … I was looking for something I couldn’t find, and yet I was finding what I was looking for.“
Welchen Rat kannst Du den Leuten, die Deine Geschichte hören, auf ihrem Weg mitgeben?
Ich weiß, dass nicht jeder in der Lage ist, eine solche Entscheidung zu treffen, und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als wäre es für jeden einfach oder immer ratsam, den Job zu kündigen. Vielmehr war es eine persönliche Entscheidung, die mir half, mich aus einem System zu befreien, das mich zwar erfolgreich, aber nicht glücklich machte.
Oft zweifelte ich daran, ob es richtig war, alles hinter mir zu lassen. Ich weiß, dass es für viele Menschen zu riskant erscheint, vor allem wenn man nicht den finanziellen Spielraum hat, solche Entscheidungen zu treffen. Doch es gibt auch andere Wege, sich selbst zu hinterfragen und zu erkennen, was wirklich zählt. Es muss nicht immer der große Schritt oder der dramatische Umbruch sein. Manchmal sind es die kleinen Momente des Innehaltens und der Reflexion, die uns helfen, unser Leben bewusster zu gestalten.
Die größte Lektion, die ich gelernt habe, ist, dass wahre Verantwortung nicht nur bedeutet, für Familie oder Gesellschaft zu sorgen, sondern auch für das eigene Leben. Verantwortung für das eigene Wohlbefinden, für die eigenen Entscheidungen und für die Fähigkeit, sich in der Welt zurechtzufinden.
Natürlich könnte man sagen, dass solche Überlegungen leicht sind, wenn man keine finanziellen Sorgen hat. Doch wie können wir unsere Privilegien nutzen, um nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere einen positiven Unterschied zu machen? Selbstreflexion und das Streben nach persönlichem Wachstum sind keine egoistischen Handlungen – sie können dazu beitragen, dass wir klarer und bewusster in der Gesellschaft handeln, sowohl im Kleinen als auch im Großen.
Für die, die meinem Weg skeptisch gegenüberstehen: Das ist okay. Ich verstehe den Zynismus und die Zweifel. Aber ich lade euch ein, darüber nachzudenken, was es bedeutet, wirklich Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – und wie wir alle auf unterschiedliche Weise uns selbst und unsere Gemeinschaften voranbringen können.
Selbstreflexion, Verantwortung und Authentizität sind keine Luxusgüter. Sie sind grundlegende Prinzipien, die uns helfen, ein erfülltes Leben zu führen, unabhängig von unserer Ausgangssituation.
Es ist keine einfache Reise. Aber ich bin überzeugt, dass es eine Reise ist, die uns alle auf die eine oder andere Weise weiterbringt.
Wo können interessierte Personen mehr erfahren?
Schreib mich per Linkedin an!